Peter Killer
Konservator
Kunstmuseum Olten
Vernissage Pedro Meier
Kunsthaus Zofingen
In einer Welt, in der viel mehr Kunstwerke geschaffen werden als gekauft, gesammelt, in der unendlich vieles schliesslich in der Schuttmulde landet, kommt man nicht um die Frage herum, wieso eigentlich Kunst entsteht.
Eine der spirituellsten Antworten ist mit dem Begriff der "Utopie" verbunden. Ernst Bloch hat den Begriff "Utopie" in seinem Hauptwerk "Prinzip Hoffnung" auf die prägnantest mögliche Kurzformel gebracht: "Etwas fehlt". Weil etwas fehlt, sucht man das Fehlende ausserhalb des Eigenen, des Vertrauten, des Angestammten. - Pedro Meier begann als 22jähriger zu reisen. Etwas fehlte. Er war immer diesem unbenennbaren Fehlenden auf der Spur. Es führte ihn in die Türkei, nach Ägypten, Brasilien, Alaska, Island, Sibirien, Indien, Japan, in den Libanon, nach Mexiko, in die USA, nach Australien, in die Südsee und in die Karibik. 1969 lernte er Asien und Thailand kennen. In Bangkok fand er dann für Jahre eine Heimat.
Utopia - das ist dem Wort nach das Nirgendland. Wen solche Leitbilder durch die Welt bewegen, der kann auch ins Nirgendland des schweizerischen Mittellandes zurückkehren, dem kann der Born den Kilimandscharo ersetzen, die Aare den Amazonas und die N1 die Transamericana.
Doch nun zu dieser Ausstellung.
In der Scharnierstelle zwischen den beiden Etagen, im Treppenhaus hängt die fünfteilige Arbeit "Arthur Rimbaud - ein Fussmarsch über den St. Gotthard". Das Interesse für die Literatur ward Pedro Meier in die Wiege gelegt. Nicht alle wissen, dass Pedro Meier einst eine Buchhändler-Lehre absolviert und 18jährig mit Egon Ammann die Literaturzeitschrift PRO LYPROS gegründet hat. Der Begeisterung für die Sprache ist denn auch Pedro Meiers Entdeckung der schönen Schilderung einer spätherbstlichen oder frühwinterlichen Gotthardüberquerung des 24jährigen Rimbaud zu verdanken. Es war Rimbauds erste Begegnung mit dem eingeschneiten Hochgebirge. Rimbaud war ein Wetterleuchten, ein Gewitter. Das "etwas fehlt" war der Motor seines kurzen und unsteten Lebens. Kaum hatte er 15jährig zu dichten begonnen, hörte das junge Genie schon wieder auf. Rimbaud starb 1891 in Marseille, erst 27jährig. Pedro Meier hat auf sehr überzeugende Weise, in zarter Farbigkeit Rimbauds Gebirgserlebnis umgesetzt, wobei er die entsprechenden Textpassagen jeweils gleich ins Bild integriert.
Pedro Meier ist etwas von der Rimbaud'schen Impulsität eigen. Auch er ist nicht der ausdauernde Gestalter, der über Monate oder gar Jahre ein einziges Thema, einen einzigen Stoff gestalten könnte. Würde er dies tun, dann würde die innere Stimme mit Ernst Blochs Formulierung "Etwas fehlt" Protest einlegen. Entsprechend vielteilig, vielseitig, ja gegensätzlich ist diese Ausstellung geworden.
Eigens für die grosse Parterre-Halle hat Pedro Meier den 9teiligen Zyklus "Lindbergh - Ozeanflug" geschaffen. Luftbilder einerseits, aber auch nachempfundene Halluzinationen eines an die physischen und psychischen Grenzen geratenen Piloten, der sich zwischen New York und Paris 33 Stunden in seinem einmotorigen Einsitzer >Spirit of St. Louis< in der Luft gehalten hat. Während diese Werke auf Fernwirkung hin angelegt sind, muss man sich in seine "Farbräume" förmlich hineinbegeben und die chromatische Sensibilität aus nächster Nähe erspüren. Man entdeckt dabei einen Maler, der sich auf Koloristen wie Amiet oder Delaunay bezieht.
Im Gegensatz zu seinem Dichtervater spielt die lineare Kontinuität in Pedro Meiers Schaffen so gut wie keine Rolle. Gerhard Meier hat seine Romane und Erzählungen in geduldiger Hingabe beständig weiterentwickelt, Pedro Meier hingegen liebt den Selbstwiderspruch, den spontanen Richtungswechsel. - Er habe eine traditionalistische Seite, ihn fasziniere die herkömmliche Landschaftsmalerei, erklärt er. Deshalb hat er auch das Werk "Dreiteilige Landschaft" geschaffen, das Sie im Parterre finden. Wäre es nicht so ungewöhnlich montiert, dann könnte man es einem in die Konventionen wohl eingebetteten Künstler zu schreiben.
Man könnte, man kann es nicht. Das sehen Sie in diesem Raum hier ganz besonders deutlich. Sie befinden sich in einem wunderschönen Festsaal, dessen kunsthistorische Bedeutung in der Fachliteratur ausnahmslos hoch geschätzt wird. Er ist vor 172 Jahren im Louis XVI-Stil fertig gestellt worden, also in der Endzeit der nach der französischen Revolution zu einer letzten, kurzen Blüte gekommenen Aristokratie. Die Formen, die Verhaltensregeln, das anständige Benehmen war für jene Leute, die sich diesen Saal bauten, von grösster Bedeutung. Ausgerechnet, beziehungsweise zwingenderweise, hier hat Pedro Meier seinen Zyklus "Gefangen" aufgehängt. Mit dieser Arbeit, der „Art Brut“, den Werken eines Dubuffet oder Louis Soutter nahen Bildern, nimmt er nicht nur eine Gegenposition zum Geist der vorhandenen Architektur-Sprache ein, sondern auch zu den vorgenannten Bildern, die sich einer "kultivierten" Chromatik und Komposition keineswegs verweigern. Einen grösseren Gegensatz zu seinen Landschaften und Farbräumen kann man sich kaum denken.
Pedro Meier ist ein Künstler des Widerspruchs. Er nimmt sich selber gegenüber immer neue Bezüge ein. Denn: "Etwas fehlt!". Wenn er nebenan einen Raum mit frühen Werken eingerichtet hat, dann kommt auch da die Idee der Ergänzung zum Ausdruck. Das Gegenwärtige kann nicht sein ohne das Vergangene. Da die grosszügigen Platzverhältnisse es erlauben, hat er ältere Bilder wieder ans Licht gezogen und so eine polare Spannung aufgebaut zwischen dem, was war und was ist.
Aber er erlaubt sich nicht nur den Einspruch gegenüber sich selber, sondern auch gegenüber andern. Viel zu reden gab, als er vor drei Jahren mit Tusche in die Nachdrucke von Rembrandt-Radierungen eingriff. Und in dieser Ausstellung erlaubt er sich ebenfalls Unbotmässiges. Er hat - im Parterre ausgestellt - chinesisches Himmelsgeld, das normalerweise geopfert wird, überzeichnet. Und in der Vitrine 3 finden sie die Habsburger-Chronik, einen prächtigen alten Band, der das Herz manches Geschichtsfreundes höher schlagen liesse. Der ehemalige Antiquar weiss zwar um den Wert solcher Folianten, aber das hindert ihn nicht, in die Widerspruchsposition zu gehen, sich das Buch in einem provozierenden Sinn anzueignen. Für die Freiheiten, die er sich herausnimmt, bezahlt er seinen Preis. Ein im Antiquitätenmarkt verkäufliches Werk macht er zu einem höchstwahrscheinlich, zumindest vorläufig, unverkäuflichen.
Pedro Meier ist mir lieb, weil seine Positionen des Widerspruchs und des Selbstwiderspruchs aus seiner spezifischen, nie destruktiven, immer positiven, biophylen Lebendigkeit erwachsen. Es wäre schön, wenn diese Ausstellung mithelfen könnte, dass die kreative Vitalität dieses Künstlers endlich in einem überregionalen Rahmen zur Kenntnis genommen würde.
Peter Killer
Konservator
Kunstmuseum Olten
15. Februar 1997